Eindrücke und Beobachtungen

„GETÄUSCHT“ in Wülfrath, 15.02.2023 verfasst von Laura Hofmann, unserer Praktikantin

Darstellung

Gelungen fand ich den eher langsamen Einstieg des Stückes: die Zuschauenden erleben den Beziehungsaufbau zwischen Hannah und Jannik und damit einhergehend zunehmend auch auftauchende Konflikte zwischen Hannah und ihrer Mutter bzw. ihrer Freundin Lea . Jannik wird nicht von Beginn an als zwielichtig dargestellt, er gibt sich zunäch st als lieber und verständnisvoller Freund. Das ist wichtig, um verstehen zu können, wieso Hannah sich überhaupt in ihn verliebt. Die Versuche von Jannik, Hannah gegen ihre Freundin Lea oder ihre Mutter auszuspielen, sind einerseits subtil genug um glaubhaft darzustellen, dass Hannah diese Manipulationen nicht bemerkt; gleichzeitig sind diese für das Publikum jedoch deutlich zu erkennen, was sich auch durch die Meldungen der Jugendlichen während der Besprechung des Stückes zeigte. Diese Art der Darstellung des Beziehungsaufbaus trägt dazu bei, dass der weitere Verlauf der Geschichte realistisch wirkt. Gerade bei dem Thema Loverboys kann ich mir vorstellen, dass oft das Verständnis für die betroffenen Mädchen fehlt und dafür, wie man in eine solche Situation gelangt. Die Darstellung im Stück führt zu einem besseren Verständnis für Hannahs Perspektive.

Die Atmosphäre im Raum veränderte sich ab dem Moment, in dem Hannah ihren Monolog hält, nachdem sie mit einem Freund von Jannik schlafen musste. Ab diesem Zeitpunkt habe ich sowohl in mir selbst als auch um mich herum eine Anspannung gespürt, die durch starke Szenen wie Hannahs Konflikt mit ihrer Mutter (die Badezimmerszene) und die Darstellungen der Gewalt von Jannik gegen Hannah noch weiter verstärkt wurden. Im Publikum war es komplett still und wenn es vorher manchmal kurze leise Gespräche zwischen Zuschauerinnen oder andere Geräusche gab, sind diese ab dem Moment gänzlich verschwunden. Die Zeit in dem Stück, in dem die Situation so weit eskaliert war, war verglichen mit der Gesamtlänge des Stückes eher kurz; das finde ich so genau richtig, da ich diese Szenen als sehr emotional wahrgenommen habe. Eine längere Darstellung so intensiver Inhalte wäre schwer aushaltbar gewesen.

Die Beziehungen zwischen Hannah und den anderen Charakteren in dem Stück sind durch Forderungen von diesen an Hannah geprägt: ihre Mutter stellt Regeln auf, die Hannah einzuhalten hat, Lea möchte mehr Zeit mit ihr verbringen und ihr Lehrer stellt in Aussicht, dass ihre Versetzung gefährdet ist, sollte sie sich nicht ab sofort deutlich mehr in der Schule

bemühen. Aus Sicht der Figuren erscheinen die meisten dieser Forderungen verständlich, sie stehen jedoch im Kontrast zu Hannah, die eigentlich keine Forderungen an ihre Mitmenschen stellt, außer dass man sie alleine ihre Entscheidungen treffen lassen solle. Ich denke, die Darstellungen von Hannahs Beziehungen haben das Potenzial, die Jugendlichen zum Nachdenken anzuregen, denn sie kennen sicherlich auch das Gefühl, mit Erwartungen von außen konfrontiert zu sein. In Hannahs Fall wäre es gut gewesen, wenn sich jemand in ihrem Umfeld statt Erwartungen an sie zu richten, sie selbst und ihre Bedürfnisse in den Blick genommen hätte. Eine so aufgebaute vertrauensvolle Beziehung könnte vielleicht nicht den Fortgang der Geschichte verhindern, würde es jedoch Hannah erleichtern, nach der Eskalation der Situation auf eine Vertrauensperson zuzukommen. Ich habe den Eindruck, dass durch die Besprechung des Stückes und gezielte Fragen in diese Richtung die Jugendlichen gemerkt haben, dass es sowohl wichtig ist, sich selbst bei Problemen an andere Personen zu wenden um um Hilfe zu bitten, andererseits aber auch, selbst auf ihre Mitmenschen zu achten und sensibel auf Situationen zu reagieren. Dies zeigte sich gleich zu Anfang des Forums, nachdem die Frage nach Leas Verhalten gestellt wurde und der Lösungsansatz einer Schülerin war, zunächst zu Fragen, wie Hannahs Beziehung ist und eben Interesse an ihrer Situation zu zeigen.

Methode

Das Einbinden der Schülerinnen in den Prozess der Lösungsfindung lässt sie von zunächst passiv Zuschauenden zu aktiv Teilnehmenden werden. Obwohl die Schülerinnen bei dem Auftritt eher zurückhaltend waren und nicht selbst die Rolle von Hannah oder Lea übernehmen, sondern lieber ihren „Schatten“ spielen wollten, hatte ich den Eindruck, dass sie dadurch motiviert wurden, selbst Lösungsvorschläge zu machen und aktiv mitzudenken. Zu Beginn schien es für die Schülerinnen eine Überraschung zu sein, dass sie selbst auf die Bühne gebeten wurden, doch auch nachdem das Prinzip klarer wurde, beteiligten sie sich weiter und nahmen die Herausforderung an, obwohl das für einige sichtlich mit Überwindung verbunden war. Das hat mehrere positive Effekte: zum einen kann eine solche Erfahrung das Selbstbewusstsein stärken für diejenigen, die sich nach vorne trauen; zum anderen sehen auch die weiteren Zuschauerinnen, dass hier die Lösungsvorschläge von Gleichaltrigen ernst genommen werden und sie die Szene mitgestalten können, und eben nicht nur ein Stück von ihnen passiv betrachtet werden soll. Der gemeinsame Prozess der Lösungsfindung regt zum Nachdenken an, zeigt verschiedene Ausgänge der Situation und verdeutlicht damit die Bedeutung eigener Entscheidungen. Die Schülerinnen können sich selbst (oder ihre Mitschülerinnen) als selbstwirksam erleben, was nicht nur einen positiven Einfluss auf ihr Selbstbild haben kann, sondern ihnen auch die Zuversicht gibt, dass sie selbst durch ihre Handlungen ihre Situation positiv beeinflussen können.

In der Besprechung des Stückes wurde der Fokus zunächst auf die Handlungsmöglichkeiten als Freundin der Betroffenen gelegt: das finde ich sehr sinnvoll, da sich die hier besprochenen möglichen Reaktionen auch auf andere Situationen übertragen lassen. Ein offenes Ohr für eine Freundin zu haben ist nicht nur dann hilfreich, wenn sie sich in einen Loverboy verliebt hat, sondern auch in anderen Krisensituationen. Durch die gezielten Fragen, die an die Schülerinnen gestellt wurden, kam es hier zu hilfreichen Ansätzen, die sicherlich auch in der Realität umgesetzt werden können.

Was die Lösungsvorschläge für die Rolle der Hannah angingen, blieben die Schülerinnen eher „diplomatisch“ und versuchten, einen Kompromiss zwischen den Wünschen von Hannah, Lea und Jannik auszuhandeln. Dabei hatte ich den Eindruck, dass sie die Bedürfnisse von Jannik als gleichwertig mit denen von Hannah betrachteten und ihnen teilweise nicht bewusst war, dass Jannik manipulativ handelte und sich nicht an Absprachen hielt (Beispiel: Lea und Hannah verabreden einen Termin für ein Treffen, Jannik kommt trotzdem, um Hannah abzuholen). In Ansätzen haben die Schülerinnen in dieser Situation versucht, Grenzen aufzuzeigen; weitere und stärkere Abgrenzungsversuche wären sicherlich auch interessant gewesen.

Sehr spannend finde ich auch die Szene im Forum, in der Lea sich an ihren Lehrer wendet, um über die Veränderung von Hannah zu sprechen. Ich finde, diese Szene hat viel Potenzial, da sie den Schülerinnen zeigen kann, inwiefern das Gespräch mit z.B. einem Lehrer, einer Pädagogin oder anderen Vertrauensperson ihnen in einer schwierigen Situation helfen kann. In dieser Situation habe ich gehofft, dass eine der Lehrerinnen der Schule die Rolle übernimmt, da dies den Schülerinnen zeigen könnte, wie so ein Gespräch ablaufen kann und ihnen eventuelle Hemmungen in diese Richtung nimmt.

Die vielen möglichen Herangehensweisen, die das Forumtheater aufzeigt, schafft einen offenen Raum für Ideen der Zuschauenden und erzeugt dadurch eine gewisse Spannung, die diese zum Mitdenken anregt. Der genaue Ablauf eines Auftritts ist nicht planbar und ist auf die Mitarbeit des Publikums angewiesen. Ich hatte den Eindruck, dass die Schülerinnen sich d adurch ernstgenommen und ermutigt gefühlt haben, die Verantwortung als aktives Publikum zu übernehmen und so ihren Teil zu dem Stück beizutragen.